Jetzt bin ich bei dir angekommen, heute beginnt für mich ein neues Leben! Zum ersten Mal habe ich ein Zuhause – ein richtiges Zuhause. Ich kann es kaum glauben. So lange habe ich draußen auf den Straßen gelebt, habe gelernt, mir mein Futter zu suchen, Gefahren zu meiden und immer wachsam zu sein. Menschen waren oft freundlich, manchmal aber auch nicht, und ich musste lernen, niemandem zu sehr zu vertrauen. Im Tierheim war es dann besser: Es gab genug Futter, ein Dach über dem Kopf und ein bisschen Ruhe. Aber es war nicht mein Zuhause.
Irgendwann kamst du dann zu Besuch, warst nur wegen mir da. Du hast mich angeschaut und mit sanfter Stimme gesprochen, hieltest mir die Hand hin. Mein Körper zitterte, und mein Herz schlug schneller. Ein Teil von mir wollte einfach nur wegrennen, so wie immer, wenn plötzlich etwas Neues und Unbekanntes auftaucht. Aber es fühlte sich gut an und ich wagte es, dir vorsichtig zu folgen – vielleicht, weil ich es tief im Inneren einfach so sehr wollte.
Jetzt sitze ich hier in einem warmen Zimmer mit weichen Decken und einem vollen Napf, der ganz für mich alleine ist. Es ist anders, so anders, und ich fühle mich… verloren. Wirst du mich wirklich mögen? Bin ich gut genug? Alles ist fremd und ungewohnt und ich fühle mich nicht richtig wohl. Noch nicht.
Du musst wissen, ich war noch nie in einer Wohnung… in einem Zuhause. Die Gerüche, die neuen Geräusche, die neuen Eindrücke- all das ist mir fremd und macht mir Angst. Alles, was für dich normal und alltäglich ist, ist für mich eine komplett neue Welt. Das, was du Fernseher oder Staubsauger nennst, selbst dein Sofa… das sind Dinge, die ich einfach noch nicht kenne und von denen ich nicht weiß, ob sie vielleicht nicht doch gefährlich für mich sind. Noch immer bin ich in ständiger Alarmbereitschaft, das ist einfach in mir drin.
Deshalb habe bitte Geduld mit mir, wenn ich das kuschelige Kissen nicht sofort annehme – gestern schlief ich noch zwischen Säcken voller Müll. Erschrick nicht, wenn ich hastig alles auffresse, was du mir hinstellst. Noch vor ein paar Wochen musste ich ums nackte Überleben kämpfen. Sei nicht verwundert, wenn ich mit meinem Spielzug nicht gleich etwas anfangen kann. Ich habe nie gelernt zu spielen, früher haben Revierkämpfe meinen Tag bestimmt. Werde nicht böse, falls mir mal ein Missgeschick im Haus passiert – noch vor kurzem spielte das einfach keine Rolle. Sei nicht traurig, wenn ich bei einem lieb gemeinten Streicheln von dir zurückzucke – liebe Berührungen gab es für mich bisher nur selten.
Ich bitte dich um Zeit und Verständnis. Dies hier ist dein Zuhause, aber für mich noch fremd und ungewohnt. Wenn ich dir erst vertraue, werde ich dir das Wertvollste schenken, was ich habe: Meine Liebe.
All diese Jahre auf der Straße haben mir gezeigt, dass man immer bereit sein muss zu gehen, falls es nötig ist. Und doch hoffe ich, so sehr wie noch nie, dass ich dieses Mal bleiben darf. Vielleicht gehört dieses Glück tatsächlich mir. Vielleicht habe ich endlich mein Zuhause gefunden. Hier, bei dir.